Experten im Bundestag: Öffentliches Geld, öffentliche Impfstoffe

Die Finanzierung von Arzneimitteln mit Steuergeld sollte gerade in einer Pandemie an Bedingungen geknüpft werden, fordern Sachverständige.

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(Bild: M-Foto/Shutterstock.com)

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Bei einer Anhörung im Bundestag am Mittwoch zu einem Antrag der Linksfraktion zum Aussetzen der Patente für Therapeutika, Impfstoffe und Tests bei Covid-19 plädierten mehrere der geladenen Experten für einen effektiveren Einsatz von Steuergeldern.

Der mRNA-Impfstoff des US-Pharmakonzerns Moderna sei fast vollständig aus öffentlichen Mitteln der US-Regierung finanziert worden, erklärte etwa Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen. Eine solche Förderung müsse an Bedingungen wie Transparenz, Bezahlbarkeit und globalen Technologietransfer geknüpft werden. Ein Maßnahmen-Bouquet sei nötig, um eine weitgehende weltweite Immunität gegen das neuartige Coronavirus zu schaffen, meinte Massute. Dazu gehöre auch eine zumindest zeitlich begrenzte Aussetzung des Patentschutzes beziehungsweise das Einrichten von Patentpools, um technologisches Know-how zu bündeln.

Laut einer Studie könnten 120 Hersteller im globalen Süden auf Basis von mRNA-Technologien Impfstoffe produzieren. Der Aufbau solcher Kapazitäten etwa in Afrika sei entscheidend im Kampf gegen die Pandemie. Insgesamt hätten in Afrika erst zwei Prozent der Bevölkerung mindestens zwei Impfungen erhalten, gab Mareike Haase von Brot für die Welt zu bedenken. Neben der Logistik vor Ort sei die Verfügbarkeit von Impfstoffen nach wie vor die größte Hürde. Viele Länder seien auf Spenden angewiesen. Sollten im Frühjahr neue Vakzine gegen die Omikron-Variante auf den Markt kommen, drohten wieder Engpässe und die ärmeren Staaten würden noch einmal hintenanstehen.

Biontech habe zwar gerade angekündigt, zunächst zwei Containerfabriken zur Impfstoffproduktion nach Ruanda und in den Senegal zu senden, berichtete Haase. Diese gingen aber erst 2023 in die kommerzielle Fertigung, sodass wohl erst in zwei Jahren vor Ort bis zu 50 Millionen Dosen im Jahr hergestellt werden könnten. Diese Menge produziere ein Biontech-Werk hierzulande in einem Monat. So werde sich die Impflücke nicht schließen lassen. Auch sie verlangte daher, öffentliche Fördermittel im Pharmasektor mit einer Pflicht zum raschen Technologietransfer zu verbinden. Das Vergaberecht lasse dies zu. Ferner sollten besondere Patente freigegeben werden.

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Die niederländische Medizinaktivistin Ellen 't Hoen warb ebenfalls für einen solchen Kurs, wie ihn Befürworter freier Software auf anderem Gebiet im Rahmen der Kampagne "Public money, public code" bekannt gemacht haben. Südafrika betreibe zwar gerade ein "Reverse Engineering" des Moderna-Impfstoffs und das betroffene Unternehmen habe erklärt, seine Patente vorläufig nicht durchsetzen zu wollen. Besser wäre es aber, wenn es der Welt sein Know-how "global verfügbar machen würde". Damit ermöglichte Kooperationen beschleunigten den Produktionsprozess und machten weitere kostspielige klinische Tests unnötig. Die Covax-Initiative, laut der sich alle impfstoffproduzierenden Länder aktiv an den globalen Bemühungen zur Steigerung der weltweiten Versorgung beteiligen sollen, sei im "Geist der Solidarität" gegründet worden, meinte die Forscherin. Daraus geworden sein eine auf Spenden beruhende "Benefizveranstaltung" der Industriestaaten.

Auch die EU sei hinter ihrem Versprechen zurückgeblieben, Impfstoffe zum Allgemeingut zu machen. Der voriges Jahr bei der Weltgesundheitsorganisation WHO etablierte Patentpool erstrecke sich bislang noch nicht auf Covid-Vakzine. Der Technologietransfer müsse daher nun etwa über Zwangslizenzen vollzogen werden.

Der WHO-Berater Andy Lofts Gray aus Südafrika warf den reichen Ländern trotz Covax fehlende Solidarität vor. Sie hätten ihre Kaufkraft direkt bei den Impfstoffherstellern geltend gemacht. Durch eine Patentfreigabe würden Innovationen nicht behindert. So basiere etwa der Kampf gegen HIV in vielen Ländern fast ganz auf Generika. Trotzdem entstehen weiter neue Therapeutika wie Kombipräparate oder hitzebeständigere Arzneimittel.

Eine stärkere Differenzierung mahnte der Berliner Rechtswissenschaftler Axel Metzger an. Beim Einsatz öffentlicher Mittel sollte die Politik auch ihm zufolge steuern, wie hinterher etwa mit der Lizenzierung geschützten Know-hows umgegangen werde. Biontech habe für die Entwicklung der mRNA-Technik aber "zu ganz erheblichem Anteil" privates Risikokapital genutzt. Die Patente dafür nun ohne Voraussetzung weltweit freizugeben, hätte daher "Rechtsunsicherheit zur Folge" und würde Investitionen bremsen. Zudem könne das Verfahren dann etwa auch in Russland und China kopiert werden, warnte Metzger. Einschlägige Impfstoffe kämen dann auch aus "autokratischen Systemen". Kooperationsmodelle wie zwischen Pfizer und Biontech mit entsprechenden Zahlungen an den Erfinder brächen zusammen. Der Jurist erinnerte daran, dass neben Südafrika vor allem Indien bei der Welthandelsorganisation WTO darauf gedrängt habe, das Patentrecht bei Covid-Impfstoffen vorübergehend auszusetzen. Dort gebe es aber schon die Option für Zwangslizenzen. Ein indischer Hersteller habe ferner die Impfstoffproduktion drosseln müssen aufgrund von Kühl- und Vertriebsproblemen.

Aktuell lägen bei Covax 780 Millionen Impfdosen auf Halde, führte Hans Steutel vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) aus. Impfen sei oft viel komplizierter, als es in Berlin scheine. Momentan sei es am schwierigsten, "das, was wir haben, auch verteilen zu können". Bis Ende des Jahres dürften mehr als 24 Milliarden Dosen produziert worden sein, obwohl diese in einem "höchst spezialisierten" Verfahren gefertigt würden und sich nicht einfach herbeizaubern ließen. Parallel seien noch 350 Impfstoffprojekte am Laufen, 150 davon befänden sich in der klinischen Forschung, ließ Steutel durchblicken. Wenn jetzt die Patente ausgesetzt würden, könnten die beteiligten Firmen nicht einfach weitermachen. Kollaboration heiße daher das Gebot der Stunde.

Ohne den umstrittenen gewerblichen Rechtsschutz nehme sich die Gesellschaft "langfristig eher die Möglichkeit, auf Pandemien gezielt reagieren zu können", befürchtete Felicitas Riedl von der Europäischen Investitionsbank. Gerade für klinische Studien sei viel privates Kapital nötig. Immaterialgüterrechte dienten dabei als Sicherheit.

(kbe)