Die "Baby Bills" und das Microsoft-Monopol

Analyse: Die Auswirkungen einer möglichen Aufteilung Microsofts sind nicht bei den Schlachten um Betriebssysteme als vielmehr in einer veränderten EDV-Landschaft zu finden.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 222 Kommentare lesen
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Jürgen Kuri

Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix? Manche Beobachter sind der Ansicht, eine Aufspaltung Microsofts in zwei Teile, wie vom US-Justizministerium und den Vertretern der 19 amerikanischen Bundesstaaten im Kartellprozess gefordert, sei zu kurz gegriffen und hätte kaum Auswirkungen auf die Branche. In einem separaten Votum, unabhängig von den Klagevertretern, reichten vier angesehene amerikanische Ökonomen einen eigenen Vorschlag bei Richter Thomas Penfield Jackson ein. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem William D. Nordhaus, Professor in Yale und ehemals einer der Berater Präsident Clintons in Wirtschaftsfragen, sowie Frederic M. Scherer, Professor in Harvard und früher Direktor bei der Federal Trade Commission (FTC). Nach ihrem Vorschlag sollte Microsoft viergeteilt werden. Sie wollen zusätzlich zu einer Abtrennung der Applikations- von der Betriebssystem-Sparte die resultierende Windows-Company in drei unabhängige Unternehmen aufgespalten sehen. Diese sollen dann unabhängig voneinander auf dem Markt für PC- und Server-Betriebssysteme konkurrieren. Nur so sei ein wirklicher Wettbewerb auf dem Markt für Rechnerplattformen gewährleistet; nur so sei garantiert, dass die Hürde, Anwendungen für die Systeme zu entwickeln, gesenkt und Microsofts Versuche, das Betriebssystemmonopol auf andere Bereiche auszudehnen, blockiert werde.

Auch wenn sich viele nicht unbedingt dem Vorschlag der Ökonomen anschließen würden, scheint doch die einhellige Meinung vorzuherrschen, dass eine Zweiteilung Microsofts am Windows-Monopol kurz- und mittelfristig nicht viel ändern wird. Die Marktmacht Microsofts auf dem Betriebssystemmarkt ist deutlich: Eine halbe "Baby Bill", die nur für Windows zuständig wäre, ist immer noch größer als viele andere Hightech-Firmen, und kann auf eine installierte Basis von Systemen zurückgreifen, die ein beruhigendes Polster für das weitere Vorgehen bilden. Ein direkter Vorteil für Konkurrenten, etwa die Distributoren von Linux oder das Multimedia-System BeOS, ist kaum auszumachen.

Allerdings kommt bei einer Aufteilung Belebung von der anderen Seite: Die Applications-Company wäre nicht, wie in der jetzigen Situtation, angewiesen, konkurrierende Systeme durch Nichtachtung zu strafen. Eine Office-"Baby-Bill" hat natürlich ein Interesse, die hauseigenen Anwendungen möglichst weit zu verbreiten – also auch auf anderen Plattformen, wie dies ja momentan schon mit dem MacOS geschieht. Die gewohnte Office-Umgebung auf Linux? Manch Unternehmen, manch Privatanwender könnte dies als letzten Schub betrachten, das Open-Source-System als ernsthafte Alternative für den Arbeitsplatzrechner in der Firma oder den heimischen PC in Betracht zu ziehen. Dem steht natürlich entgegen, dass Microsofts Anwendungen durch die Programmierschnittstellen und weitgehend proprietäre Interfaces nur schwer auf andere Systeme zu portieren sind – ganz abgesehen davon, dass die enge Verzahnung zwischen Betriebssystem und Anwendung erst einmal aufgelöst werden muss.

Diese Trennung zwischen Anwendung und System, eigentlich die klassische Vorgehensweise (das System verwaltet die Ressourcen, die Anwendungen nutzen sie), könnte mittelfristig aber der Stabiliät von Software und Plattform entgegen kommen. Oft beklagt, nie richtig geändert: Die Zuverlässigkeit von Windows wird durch vieles beeinträchtigt. Nicht zuletzt, weil Änderungen durch den Anwender an den Applikationen oft ungeahnte Auswirkungen auf das Gesamtsystem haben, könnte eine striktere Trennung von Anwendung und Betriebsystem durch Spaltung Microsofts in zwei unabhängige Firmen der Software-Stabilität entgegenkommen. Dafür allerdings muss der Benutzer eine weniger nahtlose Integration in Kauf nehmen, an die sich viele, gerade unerfahrene User gewöhnt haben. Für viele mag beispielsweise als Nachteil erscheinen, dass der Web-Browser in Zukunft eben nicht mehr automatisch mit dem Betriebssystem installiert würde.

Die direkten Auswirkungen einer Aufspaltung, die der Anwender zu spüren bekäme, dürften aber einige Monate, wenn nicht Jahre auf sich warten lassen – wenn aus Sicht des Benutzers, Microsoft für sich betrachtet, überhaupt gravierende Änderungen zu bemerken wären. Auf der anderen Seite hat der Prozess schon jetzt einige Auswirkungen, und zwar nicht nur finanzieller Natur. Wohl kaum hätten sich Firmen wie Compaq oder Dell, die in vielen Bereichen von kostengünstigen Lizenzen für Windows abhängig sind, vor Anlaufen des Verfahrens getraut, Linux als Alternative auf den eigenen Rechnern anzubieten. Die Unabhängigkeit der PC-Hersteller wird natürlich größer – und Alternativsysteme bekommen unter Umständen eine größere Chance. Viele Beobachter befürchten allerdings auch, dass die Preise für Software steigen könnten.

Das Quasi-Monopol Microsofts, sei es bei Betriebssystemen, sei es bei Anwendungssoftware, wird also kurz- und mittelfristig auch bei einer Aufspaltung der Firma bestehen bleiben. Dieses Monopol war übrigens auch nicht Gegenstand des Verfahrens: Allein die gesetzwidrige Ausnutzung des Monopols in einem Markt zur Wettbewerbsbehinderung in anderen Bereichen war Inhalt der Klage. So könnte eine Zweiteilung des Redmonder Konzerns, wird sie irgendwann tatsächlich rechtskräftig, denn auch erst der Anfang eines langen Prozesses sein: Eines Prozesses, in dem konkurrierende Systeme wie Linux erst einmal beweisen müssen, dass sie es mit Windows auf Desktop-Rechnern in der Gunst der normalen Anwender aufnehmen können; und eines Prozesses, der ähnlich wie bei der Aufteilung AT&Ts durch begleitende Gesetze möglicherweise eine stärkere Regulierung der Software-Branche mit sich bringt – etwa durch Veränderungen der Copyright-Gesetze, die in Zukunft mehr Rücksicht auf die unbestrittenen Vorteile von Open-Source-Software nehmen könnten.

Die Frage bleibt, ob der eigentliche Gegenstand des Kartellprozesses und das Betriebssystemmonopol Microsofts überhaupt noch diese Rolle spielen, die sie scheinbar auf Grund der Geschehnisse rund um das Verfahren haben. Die Veränderungen in der Computer-Industrie – weg vom klassischen PC, hin zu Internet-Anwendungen und spezialisierten, mobilen Geräten vom PDA über das Surf-Terminal bis zum Handy – greifen die Macht Microsofts stärker an als jede juristische Auseinandersetzung es je könnte. Auf der anderen Seite liegt hier die Bedeutung des Verfahrens: Eine Aufspaltung Microsofts kann von vornherein verhindern, dass der Konzern bei PDAs, Internet-Infrastruktur und Servern mit den gleichen Mitteln operiert wie im "Browser War". Kein Wunder also, dass in den Begleitdokumenten zum Strafantrag der Kläger Microsofts Vorgehen gegen den PDA-Hersteller Palm eine wichtige Rolle spielte. Und bei Server-Software droht den Redmondern neuer Ungemach: Die EU untersucht, ob Microsoft Windows 2000 so gestaltet hat, dass man praktisch gezwungen ist, die Server-Software von Microsoft zu kaufen, will man Windows auf den Arbeitsplatzrechnern einsetzen. Genau dies wäre die wettbewerbswidrige Ausnutzung eines Monopols, die dem Unternehmen im laufenden US-Verfahren vorgeworfen wird. Daher beobachten die US-Behörden sehr genau, zu welchen Schlüssen die EU kommt; der stellvertretende US-Justizminister Joel Klein verwies bereits darauf, dass er das Vorgehen Microsofts im Server-Markt für überprüfenswert halte.

Die Meinung mancher amerikanischer Beobachter, die letztlich keine großen Auswirkungen des Prozesses erwarten, erscheinen zu kurz gegriffen: Es geht bei den Resultaten, die eine Verurteilung und mögliche Aufspaltung Microsofts mit sich bringt, nicht mehr um Windows und Internet-Browser. Diese Schlacht ist geschlagen. Es geht vielmehr darum, ob wir in einer veränderten EDV-Welt mit denselben Praktiken Microsofts leben müssen, ob wir mit einem vergleichbaren Microsoft-Monopol wie bei Windows auch bei PDAs, Surf-Terminals und Internet-Anwendungen konfrontiert sind. Sowohl die indirekten Auswirkungen des Verfahrens – etwa der Gesichtsverlust Microsofts durch das arrogante Auftreten Gates' und Ballmers; oder die Deutlichkeit, mit der andere Möglichkeiten als die Software aus Redmond ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückten – als auch die direkten Auswirkungen durch eine Aufspaltung Microsofts versprechen keine Änderung an den Systemen und der Software, die wir heute benutzen. Sie versprechen vielmehr eine Belebung und Beschleunigung des neuen Umfelds, in dem wir in Zukunft mit Internet und Computern umgehen werden.

Gates sieht dies natürlich anders: Laut Microsofts Chief Software Archictect verhindere eine Spaltung Microsofts, dass "großartige neue Software" entstünde. Genau diese Arroganz hat mit zum Kartellprozess und dem beantragten harten Strafmaß geführt – die Industrie ebenso wie die Open-Source-Gemeinde hat durch den Prozess die Chance für den Beweis bekommen, dass eben nicht nur Microsoft die Systeme und Anwendungen für die Rechner und das Netz der Zukunft entwickeln kann. Wenn sie diese Chance nicht wahrnehmen, hat Microsoft den Prozess gewonnen, Zweiteilung hin oder her. (jk)