Deutschlands Job-Boom: Da geht noch mehr

Der Stellenboom hält an, die Arbeitslosenzahlen sind niedrig. Nach Meinung von Arbeitsarktexperten könnten aber noch weniger Menschen arbeitslos sein.

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Deutschlands Job-Boom: Da geht noch mehr

(Bild: Lu Wenjuan / shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Klaus Tscharnke
  • dpa

Es schien ein Boom ohne Ende zu sein – und selbst versierte Arbeitsmarktexperten wagten zuletzt kaum noch eine Prognose über die Dauer des deutschen Jobwunders. Zu oft haben sie mit ihren skeptischen Ausblicken daneben gelegen. Und selbst jetzt, da die flaue Konjunktur dem Jobaufschwung einen kräftigen Dämpfer zu versetzen droht, glaubt keiner der Experten ernsthaft an ein Ende des Stellenbooms. Das einzige, worüber sich Fachleute streiten, ist das Tempo, mit dem die Zahl der Jobsucher künftig weiter sinkt – und die Talsohle, auf der sie einmal landen könnte.

Im Mai jedenfalls ist die Zahl der Arbeitslosen leicht gestiegen. Die Bundesagentur für Arbeit zählte im Mai 7000 Arbeitslose mehr als im April, die Gesamtzahl stieg damit auf 2,236 Millionen. Die Arbeitslosenquote blieb unverändert bei 4,9 Prozent. Im Jahresvergleich zum Frühjahr 2018 allerdings ist die Zahl der Arbeitslosen noch einmal zurückgegangen. Im Mai 2018 waren es noch 80.000 Arbeitslose mehr gewesen. "Die Nachfrage der Betriebe nach neuen Mitarbeitern schwächt sich merklich ab", sagte Behördenchef Detlef Scheele am Mittwoch in Nürnberg. "Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bleibt aber auf Wachstumskurs." Auch bei der Zahl der offenen Stellen gab es im Jahresvergleich einen ganz leichten Rückgang: Bei der Bundesagentur waren 792.000 Jobs gemeldet – 1000 weniger als vor einem Jahr.

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Schon das jetzige Niveau der Arbeitslosigkeit aus dem Blickwinkel des Jahres 2005 geradezu sensationell: Damals waren zum Beginn der Hartz-IV-Reform mehr als fünf Millionen Menschen arbeitslos. Inzwischen hat sich die Arbeitslosenzahl mehr als halbiert. Allerdings dürfte die flaue Konjunktur den Schrumpfkurs der Arbeitslosenzahl in den nächsten Monaten stoppen. Dennoch ist der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) fest davon überzeugt, dass da "noch Luft nach unten" ist. Spielräume sieht er vor allem bei Kurzzeitarbeitslosen, die – anders als Hartz-IV-Empfänger – Arbeitslosengeld als Versicherungsleistung beziehen. In diesem Bereich war der Abbau der Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren ins Stocken geraten. "Dabei spricht einiges dafür, dass auch hier ein weiterer Abbau möglich ist", betont der Leiter des IAB-Forschungsbereichs "Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen".

Das erfordert nach seiner Einschätzung aber von vielen Arbeitsagenturen deutlich mehr Effizienz: Jobsucher müssten schneller eine neue Stelle finden, am besten ihre alte gar nicht erst verlieren. Dass da mehr geht, zeigten die Vermittlungserfolge einer ganzen Reihe von BA-Niederlassungen im Land. Gelänge es, alle 156 Arbeitsagenturen auf das Durchschnittsniveau der 75 besten zu trimmen, könnte die Arbeitslosenzahl um 123.000 sinken, rechnet Weber vor. Nehme man die Spitzengruppe der Agenturen als Maßstab, könnten es künftig sogar 380.000 weniger Jobsucher sein.

Trotzdem blieben Prognosen für die nächsten fünf bis zehn Jahre schwierig, machen Arbeitsmarktforscher deutlich. Denn darin fließen mehrere, nicht immer einfach zu kalkulierende Stellgrößen ein – etwa die Zahl der in den Ruhestand wechselnden Beschäftigten. Die war schon bisher relativ hoch. Allein dieses Jahr werden etwa 340.000 Menschen altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Und wenn erst die Babyboomer der Jahrgänge 1957 bis 1965 die Altersgrenze erreichen, dürften die Zahlen noch mal in die Höhe schnellen, schätzt Weber. Das dürfte nicht ohne Einfluss auf die Arbeitslosenzahl bleiben.

Der Arbeitsmarktforscher Karl Bremke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnt indes davor, den Demografie-Effekt bei Arbeitslosen-Prognosen zu stark zu gewichten. In den vergangenen Jahren seien trotz des starken Einflusses der Demografie die Zahl der Beschäftigten stark gestiegen, ohne dass die Arbeitslosigkeit im gleichen Maße gesunken sei. Das habe gleich mehrere Gründe: Viele Frauen strebten zurück ins Berufsleben, viele Ältere blieben länger in ihrem Job. Hinzu komme die Zuwanderung aus dem Ausland. Das sieht IAB-Arbeitsmarktforscher Weber ähnlich: "Die Demografie ist eher der Hintergrund, vor dem alles passiert. Aber wenn wir den demografischen Effekt nicht hätten, hätten wir sicherlich eine größere strukturelle Arbeitslosigkeit", räumt Weber ein.

Andererseits gehen nach Einschätzung der Experten die Zeiten größerer Zuwanderungen vor allem aus Osteuropa zu Ende. Dort sinke nicht nur die Zahl junger Arbeitskräfte, die auf den Arbeitsmärkten Westeuropas ihr Glück suchten. Die möglichen Folgen: Weniger Zustrom von Arbeitskräften aus dem Ausland, bessere Chancen für deutsche Jobsucher und damit über kurz oder lang auch weniger Arbeitslose in Deutschland, lautet ein Szenario der Arbeitsmarktforscher. Was die weitere Verringerung der Hartz-IV-Arbeitslosigkeit angeht, so sind die Arbeitsfachleute hingegen skeptisch. Immerhin, so Weber, sei ihre Zahl in den vergangenen Jahren kräftig gesunken – nicht zuletzt wegen der guten Konjunktur. "Viele arbeitslos gewordene Männer und Frauen haben schnell wieder eine neuen Stelle gefunden haben und sind dadurch gar nicht erst in den Hartz-IV-Bezug reingekommen."

Dass hier in nächster Zeit mit den bestehenden Förderinstrumenten große Erfolge zu erzielen sind, hält wiederum der Koblenzer Arbeitsmarktforscher Stefan Sell für zweifelhaft. Viele Menschen, die fünf oder sechs Jahre arbeitslos waren, werden sich nach seiner Einschätzung unter den heutigen Bedingungen der Arbeitswelt nur schwer ins Arbeitsleben integrieren lassen. Hier seien dringend öffentlich geförderte Beschäftigungen mit einer abschlussorientierten Qualifizierung notwendig. Ohne eine solche "aggressive Aus- und Fortbildung" werde sich weder der "Arbeitskräftemangel" beheben noch die Arbeitslosenzahl in diesem Bereich wirksam senken lassen. (olb)