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Was war. Was wird. Von John Does und anderen vergessenen Vaterlands-Verrätern

War das schön, als die digale Boheme von elektrischen Schafen träumte und vom Arbeiten, das viel Geld bringt. Lang, lang ist's her, die Wirklichkeit, ob IRL oder im Netz, ist härter, auch wenn die Revolution schon begonnen hat, meint Hal Faber.

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Auch das ist die Realität IRL, wenn aus der Boheme Bohnen werden. Oder war es nur die Autokorrektur?

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Kalk, Kalk, wohin das Auge blickt ...

*** Aus, aus und vorbei ist die re:publica, die Berliner In-Group-Selbstbeweihräucherungs-Bussi-Bussi-Veranstaltung der Netzszene, die mit 8000 Teilnehmern drauf und dran ist, den orangeberockten Bhagwanis den Rang abzulaufen. Jetzt zieht man weiter, nach Dublin, ins Mekka des "optimierten" Datenschutzes. Das ist eine konsequente Internationalisierung, die auch die Münchener DLD längst optimiert hat. zeitgleich fand sie in New York statt, mit Dirk Ahlborn, dem Hyperloop-Konstrukteur im Dienste von Elon Musk und Wolfgang Karch, dem Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, der sich für die Panama-Paper feiern ließ. Nein, hier sollen nicht die Anfänge dieser re:publica verklärt werden, als man anno 2007 sich in Kalklagern daran machte, das Internet in seiner ganzen Einfalt zu sprengen, weil dem Bloggen die Welt gehörte. Als man sich eine zünftige deutsche Blogger-Ethik gab, denn irgendwovon muss der Mensch ja seinen Glauben nehmen, wenn der Szenepapst Sascha Lobo die Arbeit an der Digitalen Bohème zum Lebensmittelpunkt ausruft. So war das, ja, vor 10 Jahren, als digitale Nomaden das Tippseln auf dem Laptop Arbeit nannten und das Glücksversprechen des Kapitalismus wieder einmal ganz neu war und sexy. So kam die Konferenz zum Buch zustande, diese re:publica, die mittlerweile Millionen-Umsätze macht, im Gegensatz zu den Bloggern, die mit ihren Texten nach wie vor ein hartes Zu-Brötchen verdienen.

*** Zur 10. re:publica wunderte sich ein süddeutscher Feuilletonist über die muckelige Beliebigkeit der Konsenskonferenz und stellte Fragen, die er auch 2007 hätte stellen können: "Warum nur kam so vieles anders, als man es sich damals erhofft hatte? Warum ist das Netz nicht das schöne, neue Kommunikationsmittel, sondern eben auch Werkzeug für Hass und Verleumdung, für Überwachung und Ausgrenzung?" Ja, auch damals wunderte man sich, warum nix draus wurde mit der bereits 1996 ausgerufenen Unabhängigkeit des Cyberspace, warum keine Republik Digitalia entstand. Hass und Verleumdung gab es übrigens auch damals im Netz, nicht nur anno 2007 bei der ersten re:publica, sondern auch 1996 mit den Zuendelsites. Warum vieles anders läuft als in schönen Träumen von absoluter Transparenz, durfte auf der re:publica der Journalist Frederik Obermeier verteidigen, einer derjenigen, die mit der Veröffentlichung der Panama-Paper das große Los gezogen hatten, Geschichte zu schreiben. Großes Los? Die zum Umfeld von Wikileaks gehörende Aktivistin Renata Avila holzte los und forderte die ungekürzte Zuschaustellung aller Dokumente im Internet. Das lehnte Obermeier unter Verweis auf deutsche Pressegesetze mehrfach beharrlich ab. Auch der Hinweis von ihm, dass die TTIP-Leaks von Greenpeace eine Abschrift sein mussten, weil der Whistleblower-Schutz unzureichend ist, wurde angezweifelt.

*** Nun aber hat sich der unbekannte John Doe der Panama-Paper mit einem Manifest über die digitale Revolution zu Worte gemeldet, das eines der wichtigsten Dokumente zu dieser Umwertung aller Werte sein könnte, viel härter als Perry Barlow und mit einer großen Umarmung von Edward Snowden, der auf der re:publica heilig gesprochen wurde:
"Ich habe mitangesehen, was mit Whistleblowern und Aktivisten in den USA und Europa geschehen ist, wie ihr Leben zerstört wurde, nachdem sie Vorgänge öffentlich gemacht hatten, die offensichtlich kriminell waren. Edward Snowden sitzt in Moskau fest, im Exil, weil die Obama-Regierung auf Grundlage des Antispionage-Gesetzes Haftbefehl gegen ihn erlassen hat. Man sollte Snowden für seine NSA-Enthüllungen als Helden feiern und ihm Preise verleihen, aber ihn nicht bestrafen."

*** Wie war das noch mit dem Feiern der Helden? Auch wir haben solche, aber das ehrende Gedenken fällt fast flach. An dieser Stelle stand es schon einmal, aber man kann es nie genug betonen. Heute vor 85 Jahren begann der Prozess gegen die Whistleblower Carl von Ossietzky als Herausgeber und Walter Kreiser als Journalist und Flugzeugexperte. Dieser hatte aufgedeckt, dass die Reichswehr eine Luftwaffe aufbaute und damit gegen den Versailler Vertrag verstieg. Landesverrat? So ein Schwachsinn: Es sollte ein Tag zu Ehren des Whistleblowers sein. So aber ist es die Piratenpartei, die der EU die Frage stellt, warum es immer noch keinen Whistleblower-Schutz gibt.

*** Nun denn: Warum gibt es keinen Whistleblower-Schutz? John Doe hat die Antwort:
"Die Ungleichheit der Einkommen, die Kluft zwischen Arm und Reich, ist eines der wichtigsten Themen unserer Zeit. Es betrifft jeden von uns, weltweit. Seit Jahren tobt die Debatte über eine plötzliche Verschlimmerung der Lage, doch Politiker, Wissenschaftler und Aktivisten sind trotz ungezählter Reden, Analysen, schwacher Proteste und ein paar Dokumentarfilmen rat- und hilflos, wie diese Entwicklung aufzuhalten ist. Die Fragen bleiben: Warum? Und warum gerade jetzt? In den Panama Papers ist die Antwort darauf nun offensichtlich geworden: umfassende, alltägliche Korruption."
Versagt haben für John Doe die Politiker als Gesetzgeber, Richter als Gesetzesausleger, Juristen als willfährige Büttel der internationalen Mafia der Steuerhinterzieher und die Banken sowieso, von Dupin über Fletcher bis TopHat. Auch der Schluss ddes Manifestes sollte in die Geschichtsbücher kommender Generationen aufgenommen werden:
"Die Auswirkungen dieses vielfachen Versagens führen zum ethischen Niedergang unserer Gesellschaft und letztlich zu einem neuen System, das wir noch Kapitalismus nennen, das aber in Wahrheit ökonomisches Sklaventum ist. In diesem System – unserem System – wissen die Sklaven weder, dass sie Sklaven sind, noch kennen sie ihre Herren, die in einer Parallelwelt leben, und die unsichtbaren Ketten sorgfältig unter einem Haufen unverständlicher Gesetzestexte verstecken. Das weltweite Schadensausmaß sollte uns alle wachrütteln."

*** Ob das mit dem Wachrütteln funktioniert, ist leider nicht ausgemacht. Mit einer bestimmten Rütteltechnik wird ein Wiegen daraus, mit einem sanften Lied zum Einschlafen. Schlaf, Bürgerlein, schlaf, Vater Staat hütet die BAFin, die Mutter schüttelt das Briefkästelein, herunter fällt ein Dividendenschein, Schlaf, Bürgerlein, schlaf. Interessant ist die Passage des Doe-Manifestes, in der behauptet wird, dass neben der Süddeutschen Zeitung viele namhafte Medien kontaktiert wurden, auch Wikileaks! Und alle hatten kein Interesse an den Panama-Papers bzw. meldeten sich nicht bei dem Whistleblower. Dieser hat Vieles riskiert und so endet er mit einer Aussage über die digitale Revolution, die auch ein bisschen riskant ist, weil Datenspeicher Bürgerschlafspeicher sein können.
"Historiker wissen, dass Besteuerung und ungleiche Machtverhältnisse in der Vergangenheit bereits Revolutionen ausgelöst haben. Damals war militärische Macht notwendig, um die Menschen zu unterdrücken, während es heute genauso effektiv oder noch effektiver ist, die Menschen vom Zugang zu Informationen abzuschneiden – auch weil das im Verborgenen geschieht. Aber wir leben in einer Zeit günstiger, grenzenloser Datenspeicher und schneller Internetverbindungen, die nationale Grenzen überschreiten. Es sieht also sehr danach aus, dass die nächste Revolution digital sein wird. Vielleicht hat sie aber auch schon begonnen."

*** Ein Live-Stück dieser digitalen Revolution wurde übrigens auf der re:publica gezeigt, als Arik Toler von Bellingcat zeigte, wie mit dem unablässigen Stream von GPS-getaggten Bildern, Selfies, und Geoinformationsdaten Aufklärung betrieben werden kann, was die Kriege in der Ukraine und Syrien anbelangt. Unmittelbar danach veröffentlichte Bellingcat seine Suche nach einem Zeichen, das mit dem Absturz von Flug 17 der Malaysian Airlines einige Bedeutung hat. Für viele Medien ist das entweder ein alter übel stinkender Hut oder eine Putin-Provokation und keine Nachricht wert

Was wird.

"Party? Die sollen nur kommen..."

Sind die Medien am Ende? Aber nicht doch. Gepriesen sei unsere Bundeskanzlerin Merkel, die nächste Woche den Kongress der Lokalpresse eröffnet und deshalb vorab die Lokalpresse lobt. Ihren Politikstil will sie dabei nicht verändert haben, aber ihr Informationsverhalten ist, huch, schneller und vielfältiger geworden, auch gegenüber Medien: "Der Regierungssprecher ist auch bei Twitter mit dabei. Die Bundesregierung hat einen Facebook-Auftritt; das gab es natürlich früher nicht. Dadurch haben Menschen auch die Möglichkeit, Dinge immer wieder abzurufen, ohne dass sie jetzt andere Medien – zum Beispiel Zeitungen – zur Hand nehmen." Ich sehe schon Hände, die an Stirne klatschen und Tilo Jung beim Vorbereiten der nächsten Runde dämlicher Fragen.

Aber hach, dämliche Antworten haben ja wir zur Genüge, die Kommentare zum Durchmarsch von Donald Trump dank Facebook und TV beweisen es. Algorithmen, die "mehr Diversität in die Timeline" bringen, können schwer problematisch sein. Ubrigens: Trumps Amerika existiert bereits, egal, was das bunte Amerika so auf die Beine bringt. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass 20 Jahre heise online mehr Volk auf die Beine bringt als gedacht. Selbst meine besten Feinde sind dabei, das ist schon was. So kann das nächste Rätsel starten, gelassen wartet die Männer-WG am Heise-Teich auf den Start der Party. (jk)