"Dann sind die USA raus"

Scott Pace, Direktor des Space Policy Institute in Washington, über die Konsequenzen der neuen Raumfahrtpläne der Obama-Regierung.

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Von
  • Brittany Sauser

Das neue Budget für das US-Raumfahrtprogramm, das die Regierung von Präsident Barack Obama vorletzte Woche vorstellte, bedeutet eine Abkehr vom Constellation-Programm der Bush-Regierung. Eine Rückkehr zum Mond bis 2020 steht danach de facto nicht mehr auf dem Plan. Stattdessen soll die private Raumfahrt-Industrie stärker als bisher eingebunden werden.

NASA-Chef Charles Bolden hatte daraufhin angekündigt, in den nächsten Monaten neue Prioritäten für die US-Raumfahrtbehörde zu erarbeiten. Zu sehr auf private Unternehmen zu setzen, hält Scott Pace, Direktor des Space Policy Institute in Washington, allerdings für riskant. Technology Review sprach mit Pace über die Zukunft der NASA und ein mögliches Ende der bemannten US-Raumfahrt.

Technology Review: Was halten Sie von dem neuen NASA-Budget?

Scott Pace: Ich bin enttäuscht, dass die Regierung das Constellation-Programm nicht finanzieren und nicht einmal zusätzliche Mittel für ein leistungsfähiges bemanntes Raumfahrtprogramm, wie vom Augustine-Komitee empfohlen, bereitstellen will. Die Budgetsteigerung für 2011 ist zwar in Ordnung, und das Geld wird für solide wissenschaftliche und technische Vorhaben ausgegeben. Aber der Zuwachs gleicht die Kürzungen aus dem 2010-Budget nicht aus. Es bleibt im Wesentlichen also bei einer Reduzierung der Weltraumerkundung, auch wenn es für die NASA noch schlimmer hätte kommen können.

TR: Wie stark beeinträchtigt die Reduzierung das US-Raumfahrtprogramm?

Pace: Worum es wirklich geht, ist die Zukunft der bemannten Raumfahrt. Was macht die NASA nach der Internationalen Raumstation ISS? Das ist unklar. Die Regierung hat sich zwar dazu bekannt, die ISS bis 2020 zu betreiben. Dadurch können wir sie immerhin als Forschungseinrichtung nutzen. Aber was kommt danach? Nach der Absage des Constellation-Programms gibt es erst einmal keine Pläne, über die Erdumlaufbahn hinauszugehen. Was tut die NASA, wenn wir auf kommerzielle Raketen angewiesen sind? Wie kann sie ihr Knowhow als guter Kunde und als leitende Instanz aufrechterhalten? Es fehlt bisher ein Gesamtkonzept.

Vielleicht gibt es irgendwann eines, aber derzeit baut der Plan auf einer aufwändigen Technologieentwicklung auf. Wie effizient wird die ohne ein übergreifendes Konzept sein?Dazu kommt, dass der privatwirtschaftliche Anteil des Plans sehr groß ist. Die Regierung verlässt sich sehr darauf, dass dadurch ein Zugang zu den niedrigen Umlaufbahnen sichergestellt ist. Der staatliche Entwicklungsanteil im neuen Programm ist hingegen null. Das ist so, als ob Sie ihr Finanzportfolio von einer sehr konservativen Zusammensetzung in eine hochriskante umschichten, die vielleicht eine Menge abwirft. Ich habe nichts gegen die private Raumfahrttechnik, die ist großartig. Was mich beunruhigt, ist vielmehr, dass mit der Aufgabe des Constellation-Programms das Risiko für die NASA und für das ganze Land sehr groß wird. Wenn die private Technik nicht funktioniert, gibt es keinen Plan B.

TR: Für wie leistungsfähig halten Sie den privaten Raumfahrtsektor? Leistungsfähig genug, um Menschen und Fracht in die Umlaufbahn zu bringen?

Pace: Es gibt keinen prinzipiellen Grund, dass er das nicht schaffen könnte. Die Frage ist eher, welche Standards sollen das regeln? Wie arbeitet die private Raumfahrt mit der NASA zusammen, um die Sicherheitsstandards einzuhalten? Die Leute aus der Privatwirtschat beschweren sich zu Recht, dass die Standards unklar sind. Die NASA muss also deutlich sagen, was sie braucht. Da werden eine Menge Analysen und Verhandlungen nötig sein. Es geht ja nicht nur um die Funktionstüchtigkeit der Raumfahrzeuge, sondern auch um deren Sicherheit. Was ist vorgesehen, wenn eine Mission abgebrochen wird? Welche Anforderungen an das Raumschiff ergeben sich dadurch? Wie wird sein Betriebszustand gecheckt?Noch einmal: Ich glaube schon, dass das Ganze funktioniert. Aber Regierung und Industrie müssen sich hinsetzen und alles sehr genau besprechen. Wie lange wird das dauern, wieviel wird das kosten?

TR: Wie wirkt sich Raumfahrtplan der Regierung auf die Rolle der USA international aus?

Pace: Man kann es so formulieren: Die Russen sind ziemlich froh darüber. Denn wir hängen für einige Zeit von ihnen ab, und wir zahlen über 50 Millionen Dollar pro Sitzplatz, wenn einer unserer Jungs mit einer Sojus mitfliegt.

In den letzten drei Jahren sind große Anstrengungen unternommen worden, die 14 großen internationalen Raumfahrtbehörden hinsichtlich Mond- und Marsmissionen besser zu koordinieren. Also den Mond mit Roboter- oder bemannten Missionen zu erkunden und Bodenproben vom Mars zurückzubringen – das waren die beiden Schwerpunkte. Die Europäer haben sich auf den Mars konzentriert, die Amerikaner auf den Mond und viele andere Länder auf Roboter-Missionen. Wie nun im Weiteren die internationale Strategie der Amerikaner aussieht, ist unklar. Und wenn es kein Gesamtkonzept gibt, wird es für uns mit der internationalen Zusammenarbeit schwieriger.

Natürlich wird gesagt, dass wir mehr zusammenarbeiten wollen. Fein. Nur was bringen wir zu der gemeinsamen Party mit? Wenn wir nicht die Orion-Kapsel haben oder ein Raketensystem oder eine Mondlandefähre, wie sieht dann unser Beitrag aus? Andere Länder haben Raketen und hervorragende Wissenschaftsprogramme. Die bemannte Raumfahrt war jedoch immer ein Knowhow, das wir hatten, dazu noch die Russen und neuerdings auch die Chinesen. Wenn wir in der bemannten Raumfahrt führend bleiben wollen, was tun wir dafür? Solange wir das nicht geklärt haben, werden wir in der internationalen Raumfahrtszene weniger Einfluss haben.

TR: Wie stark schätzen Sie den Widerstand im US-Kongress gegen das neue NASA-Budget ein? Glauben Sie, dass es noch zu wesentlichen Änderungen kommt?

Pace: Die Erfahrung zeigt, dass die NASA bis auf ein paar hundert Millionen Dollar immer das bekommen hat, was der Präsident vorgeschlagen hat. Der Kongress zieht normalerweise nicht Milliarden ab oder schlägt sie drauf. Die entscheidende Frage ist, wofür das Geld ausgegeben wird: Bleibt es bei den Posten für die Technik und die privaten Raumfahrtdienstleister, oder werden Mittel in irgendwelche staatlichen Projekte umgeschichtet? Ob das dann das Constellation-Programm wäre oder nicht, kann ich nicht sagen. Der Kongress hat aber zweimal parteiübergreifend und in beiden Häusern für die "Vision for Space Exploration" und das Konzept des Constellation-Programms gestimmt. Wenn Sie ihm nun eine andere Frage vorlegen, müssen Sie ihn überzeugen. Die Obama-Regierung wird schon erklären müssen, warum ihr neuer Ansatz besser ist. Bisher hat sie noch keine überzeugenden Gründe vorgebracht. Ich bin aber sicher, dass die noch geliefert werden.

TR: Ein Kongress-Abgeordneter hat die Befürchtung geäußert, mit dem neuen Plan könnte ein langsames Sterben der bemannten US-Raumfahrt eingeläutet werden. Sehen Sie das auch so?

Pace: Das könnte so kommen. Nicht mit Sicherheit, aber das Risiko besteht. Wenn die privatwirtschaftlichen und die technischen Vorhaben nicht fristgerecht klappen und der Mangel eines Gesamtkonzepts den politischen Willen erlahmen lässt, und wenn die Raumstation außer Dienst geht ohne einen neuen Plan und einige der privaten Raumfahrtbetreiber keinen Markt mehr finden, sind die USA aus der bemannten Raumfahrt raus. Es ist genauso gut möglich, dass die private Raumfahrt ein Erfolg wird und sich ein solider Weltraumtourismus entwickelt, unabhängig von staatlichen Programmen. Ich fände das großartig. Aber das Risiko eines langsamen Sterbens ist jetzt da. (nbo)