Die indische Lektion

Falsche Regulierung, mangelnde Investitionen und immer komplexere Netze könnten bald auch in anderen Teilen der Welt das Licht ausgehen lassen.

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Von
  • Martin LaMonica
  • Narayanan Suresh

Auch wenn viele den Mega-Blackout in Indien auf dessen chaotische Wirtschaft zurückführen: Falsche Regulierung, mangelnde Investitionen und immer komplexere Netze könnten bald auch in anderen Teilen der Welt das Licht ausgehen lassen.

Über 600 Millionen Menschen hat der Blackout in Indien in der vergangenen Woche getroffen - für die aufstrebende Wirtschaftsmacht ein Debakel. Zu glauben, Indien sei für Stromausfälle dieses Ausmaßes besonders anfällig, wäre allerdings falsch. Die zunehmende Komplexität und Abhängigkeit von Stromnetzen ist nicht nur für Schwellen-, sondern auch für die alten Industrieländer eine immer größere Herausforderung.

Natürlich hat Indien ein gravierendes Problem: Es wird schlicht zu wenig Strom produziert. Weil die Nachfrage regelmäßig das Angebot übersteigt, sind indische Energieversorger längst dazu übergegangen, Strom von Zeit zu Zeit zu rationieren. Manche Gebiete werden dann kurzerhand vom Netz abgehängt. In diesem Jahr hat ein ungewöhnlich trockener Monsun die Lage noch einmal verschlechtert: Zahlreiche Bauern im Norden ließen ihre Pumpen länger laufen und zogen damit mehr Strom als sonst.

In nur wenigen Ländern ist die Diskrepanz zwischen Stromerzeugung und –nachfrage so groß wie in Indien. Der indische Blackout könnte jedoch exemplarisch sein für hochkomplexe Netze, die im Wesentlichen noch immer händisch gesteuert werden. Sollen die Stromnetze zuverlässiger werden – und das müssen sie –, kommen die Betreiber nicht an einer moderneren Steuertechnik vorbei. Die könnte helfen, das Netz nach einem Ausfall schnell wieder in den Normalbetrieb zurückzubringen.

„Jedes komplexe interaktive Netz läuft Gefahr zu zerbrechen. Sie können das Risiko verringern, aber niemals ein Netzversagen vollständig ausschließen“, warnt Arshad Mansoor, leitender Manager beim Electric Power Research Institute in Washington. „Den Zusammenbruch des Netzes in Indien auf eine zu große Nachfrage zu schieben, ist zu simpel.“

Was genau den indischen Blackout ausgelöst hat, wird man wohl erst in einigen Monaten wissen. Mansoor vermutet aber, dass es ein eher kleiner Aussetzer war, etwa das Versagen eines Relais oder der Bedienfehler eines Technikers in einer Leitwarte. Auch in anderen Ländern sind die Stromnetze für solche kleinen Störungen anfällig – schon ein umgestürzter Baum oder der Ausfall eines Generators können enorme Folgen haben. Je mehr Solar- und Windkraftanlagen mit schwankenden Erträgen ans Netz gehen, desto schwerer ist es, die Energieversorgung zu stabilisieren. Auch Wasserknappheit kann zur wachsenden Instabilität beitragen.

Die wichtigste Aufgabe von Netzbetreibern ist, die Last auf einem Stromnetz vorherzusehen und entsprechend zusätzliche Stromerzeuger hinzuzuschalten. Das Stromsignal hat in Indien ebenso wie in Europa eine Frequenz von 50 Hertz (in den USA sind es 60 Hertz). Laufen Erzeugung und Nachfrage zu weit auseinander, fällt oder steigt die Frequenz. In den USA etwa lassen die Netzbetreiber deshalb „heiße“ Generatoren auf Standby laufen, mit denen sie dann in solchen Fällen die Frequenz stabilisieren. Das funktioniert jedoch nicht, wenn die Generatoren regelmäßig voll ausgelastet ist.

„Entwicklungsländer können es sich kaum leisten, zehn Prozent der Stromerzeugungskapazität als Reserve vorzuhalten, wenn der Notfall nur einmal in vielen Jahren auftritt“, sagt Mansoor. „Sie müssen die Generatoren schließlich auch dann bezahlen, wenn sie sie nicht nutzen.“

Doch inzwischen gibt es noch andere Verfahren, um die Frequenz des Wechselstroms zu stabilisieren. So genannte Phasor-Messgeräte messen die Amplitude und die Phasenlänge des Wechselstromsignals in Echtzeit und können aus Verschiebungen heraufziehendes Ungemach früh erkennen. US-Betreiber arbeiten mit „Demand-Response“-Programmen, die den Verbrauch von Großverbrauchern in Spitzenlastzeiten automatisch drosseln. Auch werden schon vereinzelt Microgrids – lokale Kleinnetze – eingesetzt. All diese Technologien sollen verhindern, dass schwankende Erzeuger und außergewöhnliche Wetterlagen die Stromversorgung aus der Balance bringen.

Im Falle des indischen Blackouts dürfte die Hauptschuld allerdings bei der Politik liegen und nicht bei der Technik. Die nördlichen Bundesstaaten haben angesichts des trockenenen Wetters in den vergangenen Wochen viel zu viel Strom verbraucht. Die Regulierungsbehörden schritten jedoch nicht ein, aus Sorge, die Unterstützung für die Regierungspartei im indischen Parlament könnte durch Strombeschränkungen leiden.

Weil zudem der Strompreis gedeckelt ist, sind wichtige Modernisierungsarbeiten ausgeblieben. „Das ist ein hausgemachtes Problem, die Investitionen in Verteilerstationen und Leitungen sind nicht annähernd so hoch wie sie sein müssten“, beklagt David Dapice, Ökonom von der Harvard Kennedy School. Auch der Abbau von Kohle, Hauptenergieträger in Indien, wird von einer staatlichen Firma kontrolliert. Derzeit wird debattiert, ob die Förderung ausgeweitet werden soll.

Der Konflikt zwischen Wasserknappheit und Strombedarf, der dem indischen Blackout letztlich zugrunde liegt, dürfte sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. Bereits 2010 warnte ein Report des World Resources Institute aus Washington, dass Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum an den Trinkwasservorräten in Indien, Malaysia, Thailand, Vietname und auf den Philippinen zehren. Der Bau neuer Wasserkraftwerke wird das Problem ebenso verschärfen wie zunehmende Trockenperioden, die die Klimaforschung für Teile Asiens prognostiziert.

Das wahre Ausmaß der Probleme, die den Blackout in Indien verursacht haben, ist noch nicht auszumachen. Klar ist nur, dass die derzeitige Regulierung des Strommarktes und mangelnde Investitionen den nötigen Ausbau des Netzes behindern. Diese Lektion sollten alle beherzigen – nicht nur die Inder. (nbo)