Skandal! Egal?

Vor einem Jahr enthüllte Edward Snowden die Überwachungspraktiken von Geheimdiensten. Sind die Internet-User seitdem vorsichtiger?

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Von
  • Boris Hänßler

Vor einem Jahr enthüllte Edward Snowden die Überwachungspraktiken von Geheimdiensten. Sind die Internet-User seitdem vorsichtiger? Teil 1 der Bilanz zur NSA-Affäre.

Ich gehöre zu Al Qaida und werde am 1. Juni etwas Großes machen“, schrieb die 14-jährige Niederländerin Sarah am 13. April auf Twitter. Die Nachricht, an American Airlines adressiert, war offensichtlich der geschmacklose Scherz eines Teenagers. Das Unternehmen war allerdings gar nicht amüsiert. Es schaltete die Behörden ein. Twitter musste die IP-Adresse herausrücken, und Sarah wurde verhaftet. Sie kam zwar wieder frei, doch die Strafe steht noch aus. Hat sich wirklich noch nicht herumgesprochen, dass es im Internet keine Anonymität gibt – und dass Behörden grundsätzlich jedem alles zutrauen?

Vor etwa einem Jahr offenbarten die Enthüllungen des ehemaligen Geheimdienst-Beraters Edward Snowden, wie umfassend die amerikanischen und britischen Dienste die weltweiten Kommunikationskanäle überwachen. E-Mails und Faxe wurden gelesen, Telefongespräche belauscht und Daten auf Vorrat gespeichert – völlig unabhängig davon, ob jemand verdächtig ist oder nicht. Die Spione machen selbst vor Einrichtungen der Europäischen Union, der Vereinten Nationen sowie den Regierungen verbündeter Staaten nicht Halt. Bürgerrechtsorganisationen warnen vor einem Überwachungsstaat, der außer Kontrolle geraten ist. Aber verhalten sich die Menschen deshalb im Netz vorsichtiger?

„Ja“ müsste die Antwort lauten, ginge es nach den Medienberichten im vergangenen Jahr. Gern und häufig haben Journalisten Artikel geschrieben über das gestiegene Sicherheitsbedürfnis, über überfüllte Workshops zu sicheren E-Mail-Diensten und die wachsende Skepsis gegenüber Facebook. Dumm ist nur: Der Trend existiert nicht. Eine kleine, gut informierte Schicht der Bevölkerung mag sich vorsichtiger im Netz bewegen und auf kritische Online-Dienste verzichten. Die große Zahl der Menschen jedoch war vielleicht irritiert von den Praktiken der NSA, Konsequenzen haben sie allerdings nicht gezogen.

Eines der besten Beispiele für den Unterschied zwischen Denken und Handeln ist der plattformübergreifende Instant-Messaging-Dienst WhatsApp. Über ihn können Nutzer Textnachrichten und Multimedia-Dateien verschicken. Unter anderem die Stiftung Warentest bezeichnete die unverschlüsselte Übertragung von Nutzerdaten durch die iOS-Variante als „sehr kritisch“. Der Anbieter kann die Unterhaltungen zwischen Chattenden mitlesen. Sowohl die iOS- als auch die Android-Version übertragen zudem Adressbucheinträge ohne Zustimmung des Nutzers. Als im Frühjahr 2014 auch noch Facebook den Dienst kaufte, war die Aufregung groß. Denn Facebook könnte zumindest theoretisch die Daten beider Dienste zusammenführen. In Deutschland wechselten viele Nutzer zu dem alternativen Anbieter Threema aus der Schweiz. Threema bietet eine vergleichbare App, arbeitet allerdings mit einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zwischen den Kommunizierenden. (wst)