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Statt Sauerkraut

Test: Hyundai Nexo

Fahrberichte Christoph M. Schwarzer
Hyundai Nexo

(Bild: Schwarzer)

Der Nexo ist ein Elektroauto für Menschen, die Platz brauchen und weite Distanzen stressfrei bewältigen wollen. Er ist ein Beweis des Innovationswillens. Und er ist, bitte entschuldigen Sie die Ausdrucksweise, Kimchi statt Sauerkraut: Schärfer und konsequenter als die Konkurrenz

Liefern statt ankündigen: Während Mercedes zaghaft anfängt, den GLC F-Cell [1] mit Brennstoffzelle an ausgewählte Kunden wie Bundesministerien zu vermieten, verkauft Hyundai den Nexo an jeden. Der Nexo ist ein Elektroauto [2] für Menschen, die Platz brauchen und weite Distanzen stressfrei bewältigen wollen. Er ist ein Beweis des Innovationswillens des südkoreanischen Herstellers. Und er ist, bitte entschuldigen Sie die Ausdrucksweise, Kimchi statt Sauerkraut: Schärfer und konsequenter als die Konkurrenz.

Park-Show

Ein Beispiel für das Weiterdenken bei Hyundai ist der serienmäßige Einparkassistent. Parklücke suchen, Blinker setzen, aussteigen – und zusehen. Der Nexo rangiert und lenkt von alleine. Vorausgesetzt, der Fahrer hält einen Knopf auf dem Schlüssel gedrückt. Das fasziniert auch automobile Laien und sei „schon ziemlich cool“, heißt es von Umstehenden. Das eigentlich Interessante aber ist der Antrieb.

Der Hyundai Nexo ist ein Elektroauto, das den Strom aus einer mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzelle bekommt. Der herausragende Pluspunkt dieses Konzepts ist die flexible Nutzbarkeit: Der Alltag ähnelt dem mit einem ganz normalen Auto. Nur, dass hier kein in dieser Klasse üblicher Dieselmotor [3] unter der Haube rumpelt, sondern ein geräusch- und ruckfreier Elektromotor. Das ist wirklich maximaler Komfort.

Befreiend flexibel

Der Nexo ist entspannend, weil er im Kontrast zu Batterieautos die Idee der automobilen Freiheit verkörpert: Fahren, tanken, weiterfahren. Kein Gedanke ans abendliche Einstöpseln des Steckers, an zugeparkte Ladesäulen, an Identifikationssysteme, ans Reichweitenkopfrechnen, an überhitzte Batterien oder unterkühlte Ladegeräte, die beide zu noch längeren Zwangspausen führen. Keine Angst vor den Ärgernissen der Batterietechnik [4]. Einfach nur Fahren.

Der Hyundai Nexo könnte fürs Brennstoffzellen-Auto das sein, was das Tesla Model S (Test) [5] fürs Batterieauto war: Ein ideeller Durchbruch aufgrund eines attraktiven und in sich stimmigen Gesamtkonzepts. Der Feinschliff, den die südkoreanische Marke inzwischen in jeder Hinsicht erreicht hat, ist beachtlich. Hier ist eben nicht ein Elektroauto entstanden, bei dem man eventuelle Abstriche als Preis für den neuen Antrieb hinnimmt, sondern ein unabhängig von der Fortschrittstechnik sehr gutes Auto.

Die Verarbeitungsqualität ist top. Das Raumangebot ist für alle Mitreisenden großzügig. Die Rekuperation ist über Wippen bis aufs Null-Segeln verstellbar. Die Fahrassistenzsysteme regeln fein und auf dem Niveau einer Mercedes E-Klasse (Test) [6]. Besonders erwähnenswert ist die „Monitoranzeige für den Totwinkelassistenten“: Wird der Blinker gesetzt, erscheint im Zentraldisplay die Aufnahme der jeweiligen Kamera unter dem Seitenspiegel. Man fragt sich, warum noch niemand auf dieses Sicherheitsfeature gekommen ist.

Entleert sich auf anstößige Weise

Allerdings muss dieser Sicherheitsgewinn im Paket mit dem Around-View-Monitor, 245er Reifen auf 19-Zollfelgen, Glasschiebedach, Krell-Soundsystem, beheizten hinteren und belüfteten vorderen Sitzen mit 3500 Euro bezahlt werden. Dieses Paket ist neben der Möglichkeit, den Nexo in mattgrau zu bestellen (600 Euro), das einzige und zugleich empfehlenswerte Extra. Dazu addieren sich 69.900 Euro Grundpreis. Das ist, je nach Sichtweise, viel, wenig oder angemessen – dazu später mehr.

Man muss suchen um Schwächen zu finden, die Hyundai nachbessern sollte. Wir haben drei Punkte entdeckt: Lenkung und Fahrwerk sind okay, könnten aber mehr und präzisere Rückmeldung bieten. Der Nexo ist nicht mit Anhängekupplung lieferbar. Und wir wissen jetzt, warum Toyota beim Mirai (Test) [7] einen Knopf zum manuellen Ablassen des Restwassers hat, das die Brennstoffzelle produziert: Der Nexo entleert sich auf fast anstößige Weise direkt nach dem Abstellen. Das möchte man lieber kontrolliert in der letzten Kurve vor der eigenen Garage erledigen.

Keine Einschränkung bei Kälte

Schauen wir noch genauer auf den Antrieb und den Verbrauch: Die Tanks fassen 6,33 kg Wasserstoff. Einen Marktpreis gibt es nicht; der Kurs von 9,50 Euro pro kg wurde einstmals festgelegt, um ungefähr auf dem Level von konventionellen Kraftstoffen zu liegen. Der Verbrauch lag bei minimal 0,8 kg auf 100 km im Stadtverkehr über circa 1,3 kg bei Richtgeschwindigkeit bis auf gut 2 kg im gnadenlosen Platz-da-Modus auf der Autobahn. Der Durchschnittswert von 1,4 kg / 100 km zeugt vom Nutzungsprofil: Wir haben den Nexo vorwiegend für längere Strecken eingesetzt. A7, A2, A24. Also genau dort, wo das Fahren mit einem batterieelektrischen Auto nervt.

Kein negativer Aspekt waren dabei die Winterreifen und die niedrigen Außentemperaturen von minus zwei bis plus sechs Grad Celsius. Die Brennstoffzelle erzeugt Abwärme, und es wird schnell gemütlich im Innenraum. Eine Leistungsschwäche bei Kaltstart konnte nicht festgestellt werden. Das liegt möglicherweise daran, dass niemand unter Volllast die Wohnsiedlung verlässt und die Brennstoffzelle ausreichend Zeit hat, bis zur Autobahnauffahrt auf wohlige Betriebstemperatur zu kommen.

Die Systemleistung des Nexo beträgt 135 kW (184 PS), wovon 120 kW aus der Brennstoffzelle kommen. Eine Pufferbatterie füllt die Lücke. Der Punch eines Batterieautos hat sich seit dem Erscheinen des Tesla Model S herumgesprochen und in zahlreichen Youtube-Videos verewigt. Dieses Erlebnis der schlagartig einsetzenden Höchstleistung gibt es in Brennstoffzellenautos nicht. Die heftige Längsdynamik eines Teslas ist dem Hyundai fremd, und die Fahrwerte belegen die relative Gemächlichkeit: Die Beschleunigung auf 100 km/h beträgt laut Werk 9,5 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 179 km/h. Schon das Leergewicht von 1889 kg deutet an: Hier ist ein Gleiter entstanden, kein Sprinter.

Alternative zu Diesel- oder Batterie-Auto?

Es ist ein lohnendes Gedankenspiel, den Hyundai Nexo mit ähnlich großen Autos und anderen Antriebskonzepten zu vergleichen. Der heutige Massenstandard ist ein VW Tiguan Allspace mit Dieselmotor und Doppelkupplungsgetriebe. Die Auswahl ist wegen der Umstellung auf das Messverfahren WLTP zurzeit eingeschränkt [8], aber ein 110 kW (150 PS) starker TDI mit Frontantrieb (ab 1705 kg Leergewicht) ist grundsätzlich vergleichbar. Sein Preis in der mittleren Comfortline-Ausstattung: Ab 38.275 Euro. Der Hyundai kostet also scheinbar fast das Doppelte. Bucht man jedoch einige der wichtigsten beim Nexo serienmäßigen Extras hinzu, stehen über 50.000 Euro im Volkswagen-Konfigurator.

Ein batterieelektrischer Mercedes EQC 400 [9] (ab „Mitte 2019“) ist ebenfalls ungefähr gleich groß und wird mutmaßlich teurer sein – wir rechnen mit einem Grundpreis von mindestens 80.000 Euro. Wegen des elektrochemischen Speichers wiegt der EQC mit 2425 kg eine gute halbe Tonne mehr als der Nexo – bei den schweren SUVs zeigen sich die Sinngrenzen der Mobilität mit Batterie. Klar ist, dass der Mercedes mit 300 kW Motorleistung den Hyundai trotz Übergewichts klar ausbeschleunigen wird – wahrscheinlich aber nur für kurze Zeit, denn die von Mercedes angegebene NEFZ-Reichweite von „über 450 km“ dürfte bei 80 kWh Batteriekapazität in der Realität erheblich unterboten werden.

Vor dem Abschluss noch ein Wort zur Infrastruktur: Natürlich gibt es in Deutschland zu wenig Wasserstoff-Tankstellen [10]. Das war jedoch kaum von praktischer Bedeutung, weil das Navigationssystem permanent anzeigt, wie weit es bis zur nächsten Säule ist, weil die wenigen H-Tankstellen strategisch klug aufgestellt sind und weil die gestoppte Füllzeit von dreieinhalb bis vier Minuten vernachlässigbar ist. Außerdem gibt es fast jede Woche eine Neueröffnung. Wenn es die europäischen Staaten mit der Energiewende im Verkehr ernst meinen, müssen sie dennoch bei der Infrastruktur nachlegen.

Fazit

Stellen Sie sich vor, der Hyundai Nexo käme von einem deutschen Hersteller. Er könnte etwa Volkswagen Tiguan Allspace HyMotion heißen. Dann wäre die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit für dieses innovationsstarke Auto riesig. Weil der Nexo von Hyundai gebaut wird, ist er eine weniger bekannte, aber ziemlich bemerkenswerte Alternative für Kenner und elektromobile Gourmets aller Art: Für den Windmüller in Schleswig-Holstein, der seinen Wasserstoff selbst erzeugt, für den gelassenen Vielfahrer mit Komfortanspruch und für den Vater, der die Blicke seiner Familie an der Ladesäule nicht länger ertragen möchte. Elektrisch Fahren geht also auch ohne Einschränkung.

Der Hersteller hat das Auto kostenfrei zur Verfügung gestellt, überführt und die einheitliche Tankkarte beigelegt.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Mitfahrt-im-Mercedes-GLC-Fuel-Cell-3999910.html
[2] https://www.heise.de/autos/thema/Elektroautos
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/125-Jahre-Diesel-Patent-Wie-der-Selbstzuender-ins-Auto-kam-3635111.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Hemmnis-der-E-Mobilitaet-Die-Ladeverhinderer-3676405.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-Stromschnellste-2063319.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Test-Mercedes-E-200-T-Modell-3656357.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Unterwegs-mit-Wasserstoff-Alltagstest-Toyota-Mirai-4094143.html
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/VW-WLTP-Freigabe-fuer-Golf-und-Tiguan-im-September-4151365.html
[9] https://www.heise.de/autos/artikel/Vorstellung-Mercedes-EQC-400-4154688.html
[10] https://h2.live/